Montag, 17. September 2012

Nahost-Konflikt: Jugendliche erarbeiten Resolution

Rhein-Hunsrück-Zeitung - Kulturelle, politische und religiöse Differenzen lassen sich nicht von heute auf morgen aus der Welt schaffen. Das zeigt ein Blick in den Nahen Osten. Auch nach Jahrzehnten voller Gewalt ist ein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern nicht in Sicht – auch wenn ein Hoffnungsschimmer bleibt. In den vergangenen Jahren sind bei Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen mehr als 3000 Menschen getötet worden. Ein Gegenstand des Konflikts ist der Wunsch der Palästinenser nach einem eigenen Staat, dessen Territorium das Westjordanland mit Ost-Jerusalem und den Gazastreifen umfassen soll. Auf beiden Seiten sind die Fronten verhärtet.


Eine Geste des gegenseitigen Vertrauens und der Versöhnung: Die Jugendlichen (von links) Jakob Nehls, Dina Alaraj, Tal Arbel, Carolin Manns, John Bader und Einat Goldmann reichen sich in Oberwesel die Hände.
Maximilian Eckhardt

Während sich im Nahen Osten die Gewaltspirale unvermindert weiterdreht, zeigt sich in Kastellaun ein ganz anderes Bild. Im Hochseilgarten klettert ein Jugendlicher in schwindelerregender Höhe. Andere Jugendliche geben ihm Halt, sichern ihn mit Seilen. Auf den ersten Blick keine ungewöhnliche Situation. Und doch wäre sie im Nahen Osten undenkbar, weil es sich bei den Jugendlichen um Israelis und Palästinenser handelt. Anstelle sich mit Hass und Wut zu begegnen, behandeln sie einander respektvoll, helfen und vertrauen sich gegenseitig. „Der erste Schritt unseres Projekts ist gelungen. Ein friedlicher Dialog aller Beteiligten kommt zustande“, sagt Christof Pies. Der pensionierte Lehrer aus Kastellaun ist Leiter des vom Förderkreis Synagoge Laufersweiler, der Initiative „I Hope“ (Hoffnung für Palästina) und dem Evangelischen Kirchenkreis Simmern-Trarbach getragenen Menschenrechtsprojektes, das auch über die Kreisgrenzen hinaus für Aufsehen sorgt. Es wird gefördert im Programm Europeans For Peace der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Hierbei begegnen sich 40 Jugendliche aus Palästina, Israel und Deutschland, um die eigenen kulturellen, politischen und religiösen Sichtweisen des anderen besser zu verstehen. Doch vorerst werden die alltäglichen Auswirkungen des Nahost-Konflikts außer Acht gelassen. In Kleingruppen widmen sich die Jugendlichen vielmehr dem Thema „Gleichstellung der Geschlechter in Vergangenheit und Gegenwart“ – mit der provokanten Frage „Frauen an den Kochtopf und Männer in den Krieg?“.

Sie besuchen im Kreisgebiet 25 Zeitzeugen und befragen sie zu ihren Erlebnissen im Dritten Reich und der Nachkriegszeit. Interviewpartner sind unter anderem Juden, Muslime, Christen, ein Widerstandskämpfer, ein Wehrmachtssoldat und Angehörige der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Auf den Grundlagen ihrer Recherchen erstellen die Jugendlichen eine englischsprachige Internetzeitung, die voraussichtlich Ende des Jahre online zu lesen ist. Mit viel Engagement arbeiten die jungen Leute im Alter zwischen 15 und 23 Jahren an ihren Artikeln. „Sie sind ein Team“, stellt Pies erleichtert fest. Er, der schon viele Male den Nahen Osten besucht hat, weiß, dass es auch anders hätte kommen können.

Doch jetzt heißt es erst einmal Abschied nehmen. Nach zwei Wochen kehren alle Beteiligten in ihre Heimatländer zurück – mit neuen Erkenntnissen im Gepäck. „Die Israelis und Deutschen sind nett. Ich hoffe, dass wir den Kontakt auch über das Projekt hinaus halten werden“, sagt Dina Alaraj (20) aus Beit Jala in Palästina. Dem stimmt Einat Goldmann (16) aus der israelischen Wüste Negev zu: „Wir haben in der Gruppe eine Menge Spaß.“ Auch die Studentin Carolin Manns aus Koblenz ist zufrieden: „Wir haben Kontakte geknüpft und Gemeinsamkeiten entdeckt. Das ist toll.“ Schon im Oktober treffen die Jugendlichen wieder aufeinander, um am Projekt weiterzuarbeiten. Diesmal im Gästehaus der deutsch-palästinensischen Schule Talitha Kumi bei Bethlehem „Untergebracht werden die Israelis und Palästinenser auf einem Gelände mit zwei Eingängen, der eine vom palästinensischen Gebiet A, der andere vom israelisch kontrollierten Gebiet C. „Sonst wäre eine Zusammenkunft undenkbar“, verdeutlicht Pies die Wirren des Konflikts. Sämtliche Artikel, die im Verlauf des Projekts entstehen, sollen nicht nur auf Englisch im Internet publiziert werden, sondern auch in einer eigenen Printausgabe erscheinen – in deutscher, hebräischer und arabischer Sprache.

Letztlich wollen alle Jugendlichen eine eigene Resolution zum Nah-Ost-Konflikt erarbeiten, die an Politiker aller Länder verschickt werden soll. Die Jugendlichen wollen damit beweisen, dass nur gegenseitiges Kennenlernen Ängste und Vorurteile abbauen und zu einem wirklichen Frieden führen kann. eck
Rhein-Hunsrück-Zeitung 26.8.2012

Freitag, 14. September 2012

Lautzenhausen: „Jed Schauer war en Puff“

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Unter dem Titel „Jed Schouer war en Puff“ (übersetzt: jede Scheune war ein Bordell) berichtet Kulturwissenschaftlerin Anja S. in über die schlüpfrige Vergangenheit des kleinen Ortes Lautzenhausen zu Zeiten der Hahn Airbase. Übrigens, selbst heute noch finden Sie in "Lautze" einige Spuren dieser Vergangenheit. Die RHZ berichtete am 30.12.2010 über das Buch.
Klappentext: In der bäuerlichen Idylle des kleinen Hunsrückdorfes glitzerten einst die Neonschilder der Bars und Nachtlokale. Rund 40 Jahre dauerte die Verrufene Zeit in Lautzenhausen. Und immer noch heißt es: Jed Schouer war en Puff. Aber es ist ein sagenumwobenes Stück Heimat, über das nicht laut gesprochen wird. Jetzt lüftet Anja S. in ihrem Buch erstmals den Vorhang und beschreibt Alles: die Bars und das Dorf, die Bauern und die Zuhälter, die Animierfrauen und die Striptease-Tänzerinnen. Sehr anschaulich, oft humorvoll, gut recherchiert und ein bisschen frivol sind die Geschichten, die von der Autorin zusammengetragen wurden. Damals, als Studentin, und heute, als KuWi, sprach Anja S. mit allen: Fiffi, Heimo, Ossi, Wolfgang, Siegward, Herr Gallo, Franz, Josephine, Jupp, …
Anja S., Jahrgang 1982, stammt aus dem Hunsrück und ist in der Region aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie in Bremen die Fächer Germanistik und Kulturwissenschaft. Ihre Magisterarbeit schrieb sie über die vier außergewöhnlichen Jahrzehnte in Lautzenhausen. Aus dieser Arbeit ist das vorliegende Buch entstanden. „Jed Schouer war en Puff“ ist das erste Buch der Autorin. Heute lebt Anja S. zusammen mit ihrem Mann in Frankfurt am Main und arbeitet im Hunsrück. (Quelle: bod.de)


Das Buch "Jed Schouer war en Puff" kann wieder bestellt werden (ISBN 978-3-8391-7616-0). Zwischenzeitlich war es nicht erhältlich, weil eine Person sich beschwert hatte, darin abgebildet zu sein. 

Bestellen "on demand" bei  bod.de .

 weitere Bücher aus dem Edgar Reitz "Heimat" Umfeld: http://www.heimat123.de/heimlit.htm

 

Sex, Drinks und Rock 'n' Roll: Die Reeperbahn im Hunsrück

 03. April 2011 Volksfreund.de

Sie ließ die Zuhörer schmunzeln, lachen und staunen - und trieb ihnen hier und da auch die Schamesröte ins Gesicht: die erste Lesung von Anja S. über die Lautzenhausener Bars und Etablissements und die Menschen, die dort verkehrten


Amüsantes aus ihrem Buch „Jed Schouer war en Puff“ trägt die Horbrucherin Anja S. in Morbach vor. TV-Foto: Ursula Quickert
Morbach. "Es war wie ein Garten Eden - und oft ging es ums vögeln."

Derbe Worte, die wiedergeben, wie es sich einst in Lautzenhausen lebte. Worte des Freiers Thomas H. - einer der vielen Menschen, die damals in dem Hunsrückort neben dem Flugplatz Hahn häufig gesehene Gäste waren und viele Jahre später von Anja S. über ihre Erlebnisse dort befragt wurden. Zunächst für ihre Magisterarbeit, aus der dann das Buch "Jed Schouer war en Puff: Die verrufene Zeit in Lautzenhausen" entstand.

Zum ersten Mal hat die 29-Jährige aus Horbruch nun selbst in einer Lesung einige Passagen daraus vorgetragen. Der Schauplatz: dem Buchtitel entsprechend die Scheune im Hochwaldhof in Morbach, in Rotlicht getaucht und mit Dessous, Bildern und High Heels dekoriert.

Die Autorin Anja S. kürzt ihren Nachnamen ab, um als Person "nicht aufzufallen", wie sie sagt. Die Menschen in ihrem Buch sollen im Vordergrund stehen.

Die Rückschau beginnt in den 50er Jahren. Von 1953 bis 1993 waren auf dem Hahn Amerikaner stationiert. Und mit ihnen kamen die Kneipen und Vergnügungsetablissements nach Lautzenhausen.

Der Ort sei bald als sündiges Dorf tituliert und die Reeperbahn als Vergleichsmaßstab herangezogen worden, berichtet die Kulturwissenschaftlerin. Aus den biederen Tanz- und Weinlokalen der 50er Jahre wurden Bars mit Animierdamen, Pokerrunden, Rock 'n' Roll und Drinks, die in Deutschland noch als Teufelszeug galten.

Anja S. liest diese Begebenheiten nicht nur vor, sie kommentiert immer wieder das Geschriebene und streut Anekdoten ein. Wie die der Tänzerin Josephine, die farbige Soldaten den weißen vorzog.

Sie berichtet von den HWG-Mädchen mit häufig wechselndem Geschlechtspartner. Und nicht zuletzt von Thomas H. aus dem Ruhrgebiet, der von der Prostituierten Jeanette und ihren sexuellen Praktiken schwärmt: "Das war so ne richtige Drecksau."

Zuletzt erzählen auch einige Zuschauer von ihren Erinnerungen an die sündige Zeit von Lautzenhausen. "Ich hätte meinen Vater herbringen müssen, der hätte was erzählen können", berichtet einer - und ein anderer: "Ich habe mich schon beim Durchfahren verrucht gefühlt."

Eingeladen zur Lesung hatte der Morbacher Verein "Kunst im Gewächshaus", der künftig häufiger solche Veranstaltungen auf die Beine stellen will. Vorsitzender Heiner Berg war mit der Publikumsresonanz zufrieden. Etwa 60 Menschen lauschten in der Scheune den Geschichten von Anja S., "auf diese Zahl hatten wir gehofft." (uq)



Rhein-Hunsrück-Zeitung  30.12.2010

Lautzenhausen - Edgar Reitz war an allem schuld. Zum Abschluss ihres Studiums suchte die Kulturwissenschaftlerin Anja S. das passende Thema.
Die „Lautzer“ Originale ließen bei der Buchvorstellung im „Buena Vista“ die verruchten Zeiten des Hunsrückdorfes wieder aufleben (von links): Ex-Picnic-Koch Franz Thömmes, Gerichtsvollzieher Hans-Eckhard Gallo, Tänzerin Josephine, Dominik-Geschäftsführer Ossi, Autorin Anja S. und Dominik-Geschäftsführer Heimo.
Werner Dupuis
Ihr vom „Heimat-Bazillus“ infizierter Professor wusste Rat. In seinen „Bildern aus den Hunsrückdörfern“ machte Reitz einen Abstecher in das verrufene Dorf Lautzenhausen. „Schreib darüber Deine Magisterarbeit“, empfahl der Professor. Die Hunsrückerin folgte dem Rat und verfasste nach ihrem Examen auch gleich noch ein lesenswertes Buch.
„Jed Schauer war en Puff“ – so lautet der Titel dieses besonderen Stücks Heimatliteratur. Die Autorin ist bei ihrer Recherche tief die Materie eingestiegen. Sie sprach mit Lautzenhausener Dorfbewohnern, Zeitzeugen, Akteuren und Gästen der Kneipen und Spelunken. Sie stöberte zudem in Archiven und studierte eine Vielzahl von Quellen. Entstanden ist ein knapp 200 Seiten dickes Buch, das nichts verschweigt und von einer vergangenen Epoche berichtet.
60 Bars und Kneipen gab es zwischen 1952, als mit dem Bau des Militärflughafens Hahn begonnen wurde, und 1996, als nach dem Abzug der Amerikaner die Umwandlung der Airbase zum zivilen Airport für Ferienflieger und Frachtflugzeuge begann. Das Nachtleben in Lautzenhausen war legendär. Zumindest jeder männliche Hunsrücker kannte eine schlüpfrige Geschichte – auch wenn sie nur seiner Fantasie entsprang. Es ab 110 Konzessionen und jede Menge Geschäftsführer. Mit den „Veronikas“ – so hießen im Amtsdeutsch die leichten Mädchen – prägten sie das Bild des Dorfes. Vier Mark war in den Anfangsjahren ein Dollar wert. Da war es lukrativer, die Scheune zum Etablissement umzubauen, als weiterhin Kühe zu melken.

„Wo früher Huhn und Hahn gegackert, wird heute Rock'n' Roll gewackelt. Was früher mal ein Saustall war, ist heute wieder ein Bar, und somit was es früher war“. So hieß es in der Gründerzeit. Natürlich wurde nicht jede Scheune umgebaut. Aber noch heute hält sich dieses Klischees hartnäckig. Lautzenhausen hatte sein ganz besonderes Flair: Zwischen den grellen Leuchtreklamen dampften weiter die Misthausen. In der Hoffnung, die schnelle Mark zu verdienen, verdingten sich in den 1960er-Jahren immer mehr Frauen als Animier- und Bardamen in dem Hunsrückdorf. Offiziell hießen sie Serviererinnen. Zum Schutz der Sittlichkeit war es den Damen von Amts wegen untersagt, sich in ungeziemender Bekleidung in den Schankräumen aufzuhalten. 1964 zählte das Einwohnermeldeamt fast doppelt soviel Frauen wie Männer in Lauzenhausen.
In den 1970er-Jahren wurde die Gangart etwas härter. Beim Striptease zeigten sich die Tänzerinnen lasziver, die Pornofilme wurden vulgärer. Die Separées für den „besonderen Service“ wurden ausgebaut. Besonders an den Wochenenden ging es heiß her: Kegelclubs, Sport- oder Gesangvereine, Belegschaften und komplette Gemeinderäte machten ihren Jahresausflugs in dem sündigen Dorf. Wenn die Kneipen und Kirmeszelte rund herum Feierabend machten, ging es hier erst richtig los. Ein Stubbi kostete 10, der Cocktail 15 Mark. Den Piccolo gab's für 20 und die halbe Flasche Schampus für 100 Mark – die ganze Flasche war für 200 Mark zu haben. Eine Flasche Sekt war der Mindesteintritt zum Separée. Inklusive Umsatzbeteiligung verdienten die Mädchen zwischen 3000 und 6000 Mark im Monat. Spitzenverdienerinnen kamen auf 10.000 Mark.

In den 1980er-Jahren kam das Ende. Die Bars wandelten sich mehr und mehr zu Bordellen. Prostituierte aus Osteuropa bestimmten immer mehr in der Szene. Razzien wegen des Verdachts auf Menschenhandel waren die Folge. Im Zuge der Ermittlungen wurden Betriebe geschlossen. Barbetreiber setzten sich ins Ausland ab. Besitzer und Namen der Betriebe wechselten ständig. Der Abzug der Amis in den 90er-Jahren bedeutete das endgültige Aus. Anja S. hat in ihrem Buch auch den „Verziehlcher und Stickelcher“ einen Raum gewidmet. In vielen Gesprächen schildern sie ihre Erinnerungen. Der langjährige Ortsbürgermeister Wolfgang Jakobi und sein Nachfolger Siegward Bongard gehören dazu. Aus dem Nähkästchen plauderte Franz Thömmes, der Koch, Geschäftsführer und Mann für alle Fälle. Der charmante Österreicher und Geschäftsführer Heimo war fürs Feine, sein Kollege Ossi fürs Grobe zuständig. Spannend zu lesen ist ein Exkurs mit Gerichtsvollzieher Hans-Eckhard Gallo.
Kontakt hatte die Autorin mit Mike Schnapp, der lange Jahre der unumschränkte Boss in Lautzenhausen war und heute in Israel lebt. Josephine „die Wildsau aus Dänemark“, setzte viele Jahre mit ihrer Erotikshow Maßstäbe auf der Bühne von „Lautze“. Heute lebt sie in Süddeutschland. Bei der Präsentation des Buches im „Buena Vista“ war sie der Star. Rund 200 Gäste waren gekommen. Szenen des Wiedersehens gab es bei Stammgästen und Ehemaligen. Eine strahlende Josephine verbarg ihr Alter unter den wallenden blond gefärbten Haaren und ihrem atemberaubenden Dekolleté. „Ich habe sehr, sehr scharf gearbeitet, immer gepaart mit Ästhetik, Akrobatik und viel Humor“, erinnerte sie sich. Dabei sei es nie billig und ordinär gewesen. „Das war die schönste Zeit meines Lebens“, sagt sie stolz und es scheint, als würde sie am liebsten morgen wieder in Lautzenhausen mit ihrer legendären Schlangennummer auftreten.

Donnerstag, 9. Juni 2011

Hunsrücker Rainer Engelmann veröffentlicht neues Buch

Foto: hbz / Kristina Schäfer
Nicht alle Menschen auf der Welt können das Leben in Freiheit genießen. Für sie setzen sich Menschen wie Reiner Engelmann bei Amnesty International ein.

„Dass wir heute frei sind...“ - ein Amnesty-International-Lesebuch ist im Sauerländer-Verlag erschienen. Herausgeber sind Urs M. Fiechtner und Reiner Engelmann.

Gemeinsam mit 21 weiteren Autoren haben sie 25 Kurzgeschichten rund um ai und Menschenrechte für Jugendliche ab 14 Jahren verfasst

ISBN: 978-3-7941-8107-0 / Preis: 16, 95 Euro


Für Freiheit und Würde der Schwachen

04.06.2011 - SPRENDLINGEN, Allgemeine Zeitung Mainz

Von Marwin Plän

AMNESTY INTERNATIONAL Reiner Engelmanns Lebensgeschichte ist eng mit der Menschenrechtsorganisation verknüpft

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Kein anderer Satz hat das Leben und Handeln von Reiner Engelmann so geprägt wie dieser erste Satz aus Artikel eins des Grundgesetzes. Denn für den Sprendlinger sind Menschenrechte mehr als eine Herzensangelegenheit, sie sind seine Lebenseinstellung: „Artikel eins des Grundgesetzes bildet die Grundlage für mein gesamtes Tun“, sagt er.

Wie zum Beweis für seine Grundhaltung hat Engelmann gerade das Jugendbuch „Dass wir heute frei sind...“ mit herausgegeben. Anlass für die Sammlung von Kurzgeschichten verschiedener Autoren, darunter auch Engelmann selbst, ist das 50-jährige Bestehen von Amnesty International (ai). Das Buch ist dabei Ausdruck der engen Verbindung zwischen der Menschenrechtsorganisation und der persönlichen Geschichte des Sprendlingers.

Es war Ende der 1960er Jahre, die Zeit der Despoten, der politischen Unruhen und der Studentenrevolten. Auch der damals im Hunsrück lebende Teenager Engelmann und seine Freunde werden erfasst von dem Drang, nicht tatenlos zuzusehen, sondern aktiv gegen die weltweiten Missstände vorzugehen. „Wir wussten, einfach nur darüber reden hilft auch nicht. Deswegen wollten wir aktiv werden“, sagt Engelmann. Dass er letztlich bei ai landet, entspringt allerdings einem Zufall, dem später viele Weitere folgen werden. Er nennt sie „glückliche Fügungen.“

1968 entdeckt er in einer Zeitung einen ganzseitigen Artikel über die Arbeit der Organisation. Engelmann ist fasziniert, reißt den Bericht heraus und reicht ihn in seinem Freundeskreis herum. Mit Folgen: 1969 gründen er und etwa zwanzig weitere junge Menschen in Kastellaun die erste „Amnesty-Gruppe“ des Hunsrücks. „Keiner hat da gefragt: Wie alt seid ihr? Könnt ihr das?“, berichtet Engelmann, „stattdessen waren wir von Anfang an gefragt und wurden gefordert. Das fanden wir klasse.“ Wie groß die Aufgabe ist, für die sich die zumeist Jugendlichen entschieden haben, zeigt sich schnell, als das ai-Sekretariat in London der Gruppe drei Fälle zuweist. Alle drei Personen wurden entgegen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verschleppt und eingesperrt.

Das Ziel für die frisch ins Leben gerufene Gruppe lautet nicht weniger als: Auf die Fälle aufmerksam machen und wenn möglich - die Menschen freibekommen.

Engelmann kümmert sich mit einigen Mitstreitern um den Paraguayer Ignacio Chamarro, der 1959 bereits seit zehn Jahren in seiner Heimat in Haft sitzt - wegen einer Namensverwechslung. Jahrelang schreibt die Gruppe Briefe und Postkarten, macht öffentlich auf den Fall aufmerksam, nimmt an Kampagnen teil und unterstützt ihren Schützling aus der Ferne nach besten Möglichkeiten.

Kurz vor Weihnachten 1979 werden ihre Bemühungen endlich belohnt: Chamarro ist frei.

Nie wieder hätte Engelmann von ihm gehört, wäre ihm nicht eine weitere glückliche Fügung zu Hilfe gekommen: Ende der Achtziger Jahre lernt er auf einer Party einen Paraguayer kennen. Von ihm erfährt Engelmann, dass jener selbst politischer Gefangener war - und Zellennachbar von Chamarro. Der Mann berichtet Engelmann davon, wie sich der Analphabet Chamarro im Gefängnis selbst das Lesen beibrachte, aber auch von der psychischen Belastung, seinem Hungerstreik und „wie er unendlich brutal gefoltert wurde“, sagt Engelmann mit feuchten Augen. Dann huscht ein kleines Lächeln über sein Gesicht: „Die Folter hörte von einem auf den anderen Tag auf. Und zwar genau in der Zeit, als wir begannen, unsere Briefe zu schreiben.“


AMNESTY INTERNATIONAL Reiner Engelmanns Lebensgeschichte ist eng mit der Menschenrechtsorganisation verknüpft

Kleine Erfolgserlebnisse wie diese sind es, die Engelmann zusätzliche Motivation geben, seine verantwortungsvolle Arbeit fortzusetzen und ihm dabei helfen, Rückschläge zu verkraften. Wie jenen in den 1980er Jahren. Damals betreut er ein argentinisches Ehepaar, das nur wenige Wochen nach der Geburt seines Kindes verschwindet - und nie wieder auftauchen sollte. Beide werden im Konzentrationslager ermordet.

Kontakt mit Betroffenen

Doch für einen wie Engelmann ist das Kapitel damit nicht beendet. Durch eine weitere glückliche Fügung kann er Kontakt zur Tochter der Entführten und ihren Eltern aufbauen. Sie treffen sich, fallen sich in die Arme wie alte Freunde und tauschen in nächtelangen Gesprächen Erfahrungen aus.

Solche Begegnungen hinterlassen Spuren in einem Menschen, erst recht in einem wie Reiner Engelmann. Seit 33 Jahren unterrichtet der Sozialpädagoge in einer Kreuznacher Förderschule. Zu den zentralen Anliegen des Vertrauenslehrers gehört es, Jugendliche für die Themen, die Menschen bewegen, zu sensibilisieren. Dazu besucht er mit seinen Schülern das KZ Auschwitz, geht in den Herbstferien auf Lesereisen oder schreibt in den Sommerferien Texte und Jugendbücher. Über Menschenrechte, Gewalt, Drogen, Fremdenfeindlichkeit, Frieden oder Krieg. Das Besondere: Keine der Geschichten ist frei erfunden, alle finden ihren Ursprung in den vielen, vielen Erfahrungen und Erlebnissen Engelmanns. Und in seiner tiefsten Überzeugung:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.


Kruschel erklärt´s: Amnesty International

Menschenrechte sind Rechte, die für alle Menschen auf der Welt gelten sollen. Zu ihnen gehören so wichtige Rechte, wie die auf Leben, Freiheit und Sicherheit oder die Verbote von Folter, Sklaverei und von ungerechtfertigten Verhaftungen.

Leider wird in vielen Ländern gegen diese Rechte verstoßen.

Dann versuchen Organisationen wie Amnesty International mit Aktionen auf die Verstöße aufmerksam zu machen und sie dadurch zu beenden