Kirchberg, Mittwoch, 26. Januar 2011
Lieber Hans Ripper,
für die Verleihung des rheinland-pfälzischen Friedenspreises 2011 möchte ich posthum
Horst Braun aus Kirchberg
vorschlagen.
In diesem Jahr jährt sich Horst Brauns Tod zum fünfundzwanzigsten Mal. Im Alter von nur 53 Jahren ist Horst am 29. Dezember 1986 viel, viel zu früh an Lungenkrebs gestorben.
Horst Braun war Bauer und Landwirt, kein Intellektueller – aber unglaublich kreativ. Manchmal bat er sogar jemand von uns aus dem Kreis seiner Freunde und Weggefährten, seine Gedanken zu Papier zu bringen. Für einen Zeitungsartikel oder wieder mal einen Leserbrief gegen den Rüstungswahnsinn oder das Waldsterben – weil wir, wie er sagte, das besser könnten als er.
Horst war Mitinitiator, Mann der ersten Stunde und später der Motor der Hunsrücker Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre. Lange bevor der Hunsrück als Stationierungsort für die 96 cruise missiles des NATO-Doppelbeschlusses bekannt wurde und lange bevor die kirchlichen und christlich orientierten Gruppen im Hunsrück zur Friedensbewegung stießen. Horst Braun war es auch, der die Idee des Friedensackers mit den 96 Kreuzen an der Hunsrückhöhenstraße hatte. Und er war es ebenfalls, der diese Idee selbst umsetzte und die ersten Kreuze auf dem Friedensacker errichtete – 1984 kurz vor dem Hunsrücker Ostermarsch. Der Friedensacker, der Ort, der später überregional, ja fast weltweit zu einem der Symbole für den Widerstand einer ganzen Region gegen den nuklearen Rüstungswahn wurde. Die Idee des Friedensackers wird heutzutage ja oft Karl-August Dahl, dem ehemaligen evangelischen Pfarrer von Bell und späteren Galionsfigur der Hunsrücker Friedensbewegung zugeschrieben. Naheliegend zwar, aber unzutreffend – falsche Legendenbildung.Horst zu Besuch in Bell
Der Bärtige in der Bildmitte mit der Hand am Kreuz-Querbalken auf dem mitgeschickten Bild – das ist Horst Braun, als er die ersten Kreuze aufgestellt hat.
Er erreichte die einfachen und kleinen Leute im Hunsrück. Ihn kannten sie und ihm vertrauten sie – er war einer von ihnen. Einer, dem man glauben konnte. Und es waren viele, die ihn kannten, denn Horst war eine echte Hunsrücker Persönlichkeit. Immer bereit, als erster das zu tun, wozu er auch andere aufforderte. Und eine imposante Erscheinung allemal; nicht umsonst wurde er im ganzen Hunsrück „Tarzan“ genannt. Ohne Horst Braun hätte es die Hunsrücker Friedensbewegung in ihrer Buntheit und Vielfalt und Breite und dem Getragensein durch die gesamte Hunsrücker Bevölkerung so nie gegeben. Horst öffnete uns die Türen zu den Gemeindehäusern in den Hunsrückdörfern, wo wir mit unseren Diavorträgen und Diskussionsveranstaltungen die Bevölkerung über die geheimen Vorhaben der Militärs im Hunsrück und anderswo informieren konnten. In fast jedem Dorf kannte Horst jemand, der uns dabei half – weil Horst mit dabei war!
Weihnachten 1983 hatte Horst die Idee, sich an das Betonmonument am Eingangstor des US Flugplatzes Hahn Air Base anzuketten. Der Betonklotz direkt an der Hunsrückhöhenstraße, den das Wappen der auf dem Hahn stationierten 50th Tactical Fighter Wing, einer Flugstaffel mit Atombewaffnung, zierte: Ein mythologischer Greif mit Atomblitz in seinen Krallen und hinter ihm aufsteigendem Atompilz! Horst fand auch zwei Mitstreiter, die beim Anketten über die Weihnachtsfeiertage 1983 mitmachten. Eine spektakuläre und bis dahin im Hunsrück nie dagewesene Aktion zivilen Ungehorsams, die viel bewegte. Lenkte sie doch das Licht der Öffentlichkeit auf die atomare Bedrohung und Gefahr, die vom Hahn ausging und auf dessen strategische Bedeutung – und darauf, dass er ebenfalls ein Magnet für feindliche Atomraketen des Ostens war. (hierzu habe ich Titelbild mit Horst Braun und Artikel aus HUNSRÜCK-FORUM Nr. 5 mitgeschickt; ebenso noch ein s/w-Bild des angeketteten Horst)
Als Horst gestorben war, weigerte sich der Mittelrhein-Verlag in Koblenz, einen von mir verfassten Nachruf für Horst auf der Seite der Todesanzeigen zu veröffentlichen. Die Anzeige im Namen der Hunsrücker GRÜNEN, Horsts politischer Heimat, erschien auf der Seite mit kommerzieller Werbung – für Kachelöfen! In meiner Grabrede habe ich das damals zum Thema gemacht. Eine Welle von Abo-Kündigungen und Protestbriefen und auch Anzeigen gegen den Verlag waren die Folge.
Nach Horsts Beerdigung im Januar 1987 schrieb seine Frau Christa, später die erste Gleichstellungsbeauftragte des Rhein-Hunsrück-Kreises, einen Brief an uns, die Hunsrücker Friedensgruppe. Hieraus möchte ich ein paar Passagen zitieren:
>>>
„Liebe Freundinnen und Freunde der Friedensgruppe,
nicht ohne Stolz und Dankbarkeit habe ich die vielen und auch besonderen Nachrufe gelesen. Wiederholt wurde ich deshalb angesprochen, viele wußten gar nicht, was für ein Mann der Horst war. – Ich wußte es schon. – Und wenn Sie schreiben, „unser väterlicher Freund“, dann kannten Sie ihn vielleicht die letzten 10 Jahre. Aber vor ca. 25 Jahren, als er Mauern ohne Anlauf übersprang (schließlich war er auch mal Rheinlandmeister) da ging es erst ab, um es im Jargon der Jugend zusagen.
Obwohl er den Showeffekt liebte, hat er auch sehr viel getan, ohne daß die Öffentlichkeit davon erfuhr. Mir fallen spontan einige Dinge ein :z.B. Wanderungen mit Schmiedelkindern [Anm.: Das Schmiedel ist ein Kinderheim nahe Simmern], er half beim Ausbau der Sonderschule in Schönborn [Anm.: gemeint ist die erste Schule für geistig behinderte Kinder in der Hunsrück-Region], er sorgte für Aussiedlerfamilien, er hielt über Jahre Diavorträge für die Christoffeler Blindenmission, er kämpfte für Raiffeisen, die Molkerei und gegen Waldsterben [Anm.: Horst war einer der Ersten, wenn nicht sogar der Erste in Rheinland-Pfalz, der Anfang der 80er Jahre kranke Bäume am Waldrand mit großen weißen Kreuzen bemalte, um auf das Waldsterben aufmerksam zu machen]. Er sammelte Material für ein Buch über eine Biogasanlage, machte Überlebenstraining, fuhr Kajak. Aber seine große Liebe waren seine Wildnisexpeditionen in Kanada. Dies alles neben der Landwirtschaft, die auch keinen 8 Stundentag kennt. Etwas blieb dabei auf der Strecke, das war seine Familie. Es war bei uns nie langweilig, aber Zeit hatte er für uns kaum.
[...]
Die furchtbare Voreingenommenheit vieler gegen die GRÜNEN und auch gegen Friedensgruppen, das waren Dinge, die unseren Horst nicht entmutigt haben, im Gegenteil: Mit Zivilcourage und manchmal auch zivilem Ungehorsam nahm er manchen Kampf auf. Mehr als einmal habe ich ängstlich fragenden Blickes der Polizei die Tür öffnen müssen.
Wie gern würde ich selbst die Zeit noch einmal zurückschrauben. Auch die zwei Jahre seiner Krankheit hatten ein positives Eckchen – es waren die einzigen der 23 Jahre, in denen wir Zeit für uns hatten.“
<<<
Mir ist bewusst, dass sich die Arbeitsgemeinschaft der Friedensgruppen in Rheinland-Pfalz schwertun wird, nach 2009 den rheinland-pfälzischen Friedenspreis 2011 wieder an eine Person aus dem Hunsrück zu verleihen. Aber: Elisabeth Bernhard, die ich persönlich seit den Anfängen ihres Engagements in der Friedensbewegung gut kenne und sehr schätze und die zu Recht den Friedenspreis erhalten hat, zu ihrem neunzigsten Geburtstag diese Ehre zuteil werden zu lassen und Horst Braun zu seinem fünfundzwanzigsten Todestag zu vergessen, ist für mich undenkbar. Es wäre ein nicht wieder gutzumachender Fauxpas!
Die Chance, noch einmal an Horst Braun zu erinnern und ihm die Ehre dieser Preisverleihung zuteil werden zu lassen, bietet sich 2011 in besonderem Maße und wahrscheinlich zum letzten Mal: Es ist das Jahr seines fünfundzwanzigsten Todestages – es ist aber auch das Jahr, in dem sich die Hunsrücker Großdemo gegen NATO-Nachrüstung und Stationierung neuer Atomraketen mit über 180.000 Teilnehmern auf dem Beller Markt am 11. Oktober zum fünfundzwanzigsten Mal jährt und an der Horst schon nicht mehr teilnehmen konnte, weil er todkrank war. Es wäre der gebührende Anlass und Rahmen, um noch einmal an eine ganz große Persönlichkeit der ganz frühen Hunsrücker Friedensbewegung zu erinnern.
Denn nur wer vergessen ist, ist wirklich tot...
Mit den besten Grüßen
Axel Weirich
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen