Sonntag, 22. Februar 2009

Die Geister die man rief, wird man nun nicht mehr los

(Ein Märchen aus dem Hunsrück)
Klemens Probst, Sohren 1989

Es gab einmal in einem Hunsrückdorf ein großes Wiesengelände mit den verschiedensten Obstbäumen darauf. Im Mai verwandelten die Löwenzahnblumen die Wiesen in ein gelbes Blumenmeer. Es war ein Paradies für Milchvieh und allerlei kleines Wildgetier. Doch eines Tages meldete ein Ungeheuer, welches in seiner Unersättlichkeit sich seit Jahren immer dichter an das Dorf heranfraß, neue Begierden an. Im Dorf fand es bereitwillige Helfershelfer. Und so rückten eines Tages große Planierraupen an und walzten das große Wiesengelände mit den Obstbäumen platt. Wie ein Eitergeschwür lag nun das rohe Erdreich - für jedermann sichtbar am Ortsrand. Anfangs glaubten viele Leute im
Dorf, jenes Ungeheuer würde die bereitwillige Herausgabe dieses Landstrichs mit Arbeitsplätzen und Aufträgen für die Handwerker belohnen. Doch schon nach kurzer Zeit wurde den Menschen klar, daß die scheinbare Freundschaft mit dem Ungeheuer trügerisch war. Am Ende waren die Helferhelfer schon froh, als ihnen in einigen wenigen Punkten Mitgestaltungsrechte zugebilligt wurden. Dies versuchen sie seitdem den anderen Dorfbewohnern als große politische Tat zu verkaufen. Immer mehr Leute fragen sich aber, wem die Verschandelung ihres
Dorfes eigentlich Nutzen bringt?

Das Ungeheuer hat seine Heimat zigtausend Kilometer jenseits des großen Meeres. Von dort läßt es seit einigen Wochen alles heranschaffen, was zur Bebauung dieser Löwenzahnwiesen notwendig ist. Die Dorfbewohner stehen wie Zaungäste dabei und betrachten kopfschüttelnd, was da am Rande ihres Ortes geschieht.

Auf großen Schildern wird verkündet was hier geschieht und daß es angeblich ganz von diesem Ungeheuer bezahlt wird. Ist mal alles fertig, ist ein neues Dorf im Hunsrückdorf entstanden, bewohnt von über tausend fremden Menschen mit einer fremden Sprache. "Die müssen hier wohnen, die beschützen euch vor den vielen bösen Feinden, die euch bedrohen," sagt das Ungeheuer. Es ist schon eigenartig! Die meisten Menschen im Dorf sehen überhaupt keine Feinde und fühlen sich auch gar nicht bedroht - es sei denn, gerade von jenem Ungeheuer, welches sich vor ihren Augen breitgemacht hat.

Immer mehr Leute sehen auch, daá diese seltsame Baumaßnahme Folgen haben wird. Sie denken an ihre Kläranlage, die bald überlastet ist, sie denken daran, wo das viele Trinkwasser für die fremden Menschen herkommen soll? Wohin mit dem vielen zusätzlichen Abfall? Wohin mit den vielen Autos, die diese Menschen mitbringen werden? Tagtäglich tauchen neue Fragen auf, auf die es keine zufriedenstellende Antworten mehr gibt. Manche meinen gar, bald nur noch eine
Minderheit in ihrem eigenen Dorf zu sein...

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