Donnerstag, 5. Februar 2009

Vor 25 Jahren: Atomwaffen im Hunsrück"Der Kalte Krieg ist auch heute nicht vorbei"

Aus der SWR homepage vom 2.9.2008)

Pfarrer Karl-August von Dahl im Interview

Kalter Krieg, Nato-Doppelbeschluss, Nachrüstung: Für die Bewohner der Hunsrück-Orte Bell und Hasselbach war das 1983 nicht bloß eine politische Diskussion in der damaligen Hauptstadt Bonn. Vor ihrer Haustür, auf der so genannten Raketenbasis Pydna, entstand ein Lager für Atomwaffen. Und es formierte sich Protest. Karl-August von Dahl, evangelischer Pfarrer aus Bell, war einer der führenden Köpfe der Friedensbewegung in dieser Region. Im SWR.de-Interview zieht er Bilanz.

August Dahl vor einem Stacheldrahtzaun auf der ehemaligen Raketenbasis Pydna

SWR.de: Herr Dahl, Ende 1983 wurde die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland beschlossen, in der Folge wurden im Hunsrück Marschflugkörper mit Atomsprengköpfen gelagert. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Karl-August von Dahl: Meine Frau und ich, wir gehören zu der Generation, die ihre Lehrer fertiggemacht hat mit der Frage: Was haben Sie in der Nazizeit gewusst? Was haben Sie dagegen gemacht? Und wir wären - falls es nach einem Atomschlag Überlebende gäbe - die nächste Generation, die gefragt würde: Ihr habt es gewusst. Warum habt Ihr nichts getan? Plötzlich historisch in diese Verantwortung gestellt zu sein, hat uns sehr wach gemacht. Zusammen mit dem Grund, den wir von unserem christlichen Glauben her haben: Es darf kein Mensch je über das Leben anderer Menschen so total wie in einem totalitären Staat entscheiden. Und erst recht nicht in einer Demokratie.

Und wir hatten das Bewusstsein, das müssen wir auch mit unseren Gemeindemitgliedern diskutieren. Und wir haben die volle Unterstützung des Kirchenvorstandes bekommen. Ich bin also in den Jahren ab 1983 unendlich viel unterwegs gewesen, von Dänemark bis Wien und von Straßburg bis Berlin, um Leute zu informieren – zum guten Teil kirchlich Engagierte, und zum anderen Teil politisch Engagierte von rechts bis ganz links.

Und die Menschen im Hunsrück, die Bewohner der Orte, die an die Raketenbasis Pydna angrenzten?

Der große Aufbruch ist dadurch passiert, dass viele Hunsrücker verstanden haben, worum es geht - und sie haben diese Botschaft informierend weitergetragen. Demokratie ist Information ...

Die Bewohner haben sich also schlau gemacht: Was passiert hier bei uns? Und haben das an die Öffentlichkeit getragen ...

Ja. Schon nach kurzer Zeit war die Frustration bei unseren Bürgermeistern hier im Hunsrück so stark über die Rausredereien und Lügereien von deutschen Politikern, dass sie in einem Interview öffentlich gesagt haben: Wir fragen die Politiker nicht mehr, da kriegen wir sowieso nicht die Wahrheit. Wir fragen gleich die Friedensbewegung. Die belügen uns wenigstens nicht.

Was hat man den Menschen im Hunsrück denn erzählt?

"Da werden Garagen gebaut." – Die Leute haben gefragt: "Was für Garagen?" – "Ja, da kommen dann Lkw rein". Das hat ein wichtiger CDU-Europapolitiker in einer Werbeveranstaltung für seine Partei im Gasthaus in Bell den Leuten gesagt. Und da haben sie ihn ausgelacht! Sie haben gesagt: "Wir wissen es besser. Wir haben doch schon Fotos gesehen aus Amerika." Da war er baff.

Tatsächlich lagerten dann im Hunsrück Lkw, bestückt mit Atomwaffen. Die Friedensbewegung erhielt Zulauf, es gab jeden Sonntag Nachmittag Friedensgebete vor dem Tor der Pydna, 96 Kreuze für 96 geplante Marschflugkörper wurden auf einem Feld aufgestellt. Aber es gab auch Streit innerhalb der Gemeinden, wie man sich dazu verhalten solle ... Schließlich sorgte die Militärpräsenz im Hunsrück schon seit langem für Arbeitsplätze. Kann man sagen, da liefen Fronten durch die Orte?

Nein. Fronten liefen nicht, sondern wie das so ist im Hunsrück: Man hält das einfach aus, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. In unserem Kirchenvorstand gab es natürlich Leute, die bei der Bundeswehr arbeiteten. Für die war es ein bisschen schwieriger, das nachzuvollziehen. Aber als denen bewusst wurde, hier ist unser Glaube gefragt, da war klar: Das vertret ich auch meinen Arbeitskollegen gegenüber, auch wenn die mich komisch anmachen. Gab es Streit? Nein. Es gab flapsige Sprüche wie: "Wenn der Pfarrer so weitermacht, dann können wir den ganzen Hunsrück verkaufen" ...

... weil das Militär dann abzieht und wir keine Arbeit mehr haben ...

Richtig.

Um den Nato-Doppelbeschluss und die Nachrüstung wurde in ganz Deutschland erbittert politisch gestritten. Das Klima dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzungen war auch im Hunsrück spürbar. Und für Sie persönlich hatte es ja auch Folgen ...

Das ist ja aktenkundig. Meine Frau [die Pfarrerin Jutta Dahl, Anm. d. Red.] und ich, wir haben beide unseren Religionslehrer-Posten an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Kastellaun verloren – auf Betreiben der Bezirksregierung. Die offizielle Begründung war: "Wir müssen die ausreichend vorhandenen Kräfte mit Religionsunterrichts-Erlaubnis voll beschäftigen und müssen die nebenberuflichen wie Pfarrer entlassen." Wir waren die einzigen, die entlassen wurden.

Heute finden auf der Pydna Techno-Partys statt. Als die Atomwaffen abzogen – empfanden Sie da ein Gefühl von Triumph?

Nö. Ein fröhliches Aufatmen: Ein erster Schritt ist gemacht. Statt 25- oder 27-mal Overkill-Kapazität gibt es jezt vielleicht eine oder zwei weniger. Den Rest haben wir noch.

Man könnte aber auch sagen: Die Atomwaffen sind abgezogen, die Strategie ist aufgegangen. Die Schwarzmalerei der Friedensbewegung hat sich nicht bewahrheitet ...

Das wurde uns aus dem rechtskonservativen Lager, egal ob das SPD, FDP oder CDU war, unterstellt: Ihr malt schwarz und macht den Leuten Angst. Statt dessen haben wir die Wirklichkeit beschrieben. Denn die Wirklichkeit macht Angst. Das ist der Unterschied.

Unsere Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet, es ist keine der Atomwaffen bei uns gestartet worden. Die Trägerwaffen sind in dem Vertrag, den Reagan und Gorbatschow geschlossen haben, zur Vernichtung – also zum Zersägen – verordnet worden, während die Atomsprengköpfe sich die jeweilige Weltmacht wieder einverleibte. Die Sprengköpfe sind also wieder in Amerika und werden weiter verbraucht. Die Sprengköpfe der russischen SS 20 und ähnlicher Waffen ebenfalls.

Gefahr eines Krieges durch Irrtum - das war eines der Argumente der Friedensbewegung. In der SWR-Dokumentation "Planspiel Atomkrieg – Raketenpoker um die Nachrüstung" zeigt die Autorin Gabriele Trost: Es gab tatsächlich immer wieder Beispiele dafür, dass Missverständnisse oder Fehlalarm bei Überwachungssystemen damals leicht zur Eskalation hätten führen können. Mit welchen Gefühlen hören Sie heute solche Beispiele?

Wir wissen, dass es wahr ist. Wir wissen, dass es immer wieder passiert. Der jüngste Bericht der amerikanischen Sicherheitskommission, die die amerikanischen Waffenstandorte weltweit untersucht hat, zeigt auf, dass auch in einem der beiden deutschen Standorte für Atomwaffen die Sicherheit genau diesem Zufallsfaktor unterliegt. Das ist der Standort Büchel bei Cochem an der Mosel.

Der Kalte Krieg ist vorbei – das ist Geschichte. Ist das aus Ihrer Sicht tatsächlich so?

Der Kalte Krieg sei vorbei? In den Köpfen vieler immer noch nicht. Was die Atomwaffen angeht – zum Beispiel in Büchel, mit denen deutsche Tornados übrigens in Testflügen üben, also: Atombombe drin, und dann Testflug -, weist die deutsche Politik bis heute jede Einflussmöglichkeit von sich und sagt: Wir brauchen das weiterhin.

Ich halte diese Art des Kalten-Kriegs-Denkens für ungeheuer gefährlich. So gefährlich, dass ich jeder politischen Verlautbarung misstraue, die nicht verifiziert ist durch Leute aus dem Kirchen-Bereich - weltweit, übrigens. Aktuelles Beispiel: der Georgien-Konflikt.

Der Kalte Krieg ist nicht vorbei. Unser Misstrauen ist nach wie vor angebracht. Das gehört sich für einen amerikanischen und einen deutschen und jedweden Bürger dieser Welt, in der Demokratie erst recht.

Die Fragen stellte Bettina Fächer

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