Donnerstag, 12. Februar 2009

Kastellauner Friedensbüro ware Heimat von Elise Rozenstein

Der ehemaligen Heimat nach 50
Jahren einen Besuch abgestattet


„Man vergißt nie, was geschah — aber man verzeiht"

Hunsrücker Zeitung, 7. Juni 1989

-ast- KASTELLAUN. Sie ist zum ersten Mal nach mehr als fünfzig Jahren wieder in der „alten" Heimat: Elise Rozenstain, Jüdin und mittlerweile amerikanische Staatsangehörige. Mit welchen Gefühlen ist die 90jährige agile Dame nach Kastellaun zurückgekehrt? „Mit guten Gefühlen", sagt sie spontan. „Zwar vergißt man nie, was geschehen ist, aber man verzeiht".

Zusammen mit ihrem Sohn Horst Meyer hält sich Elise Rozenstain einige Zeit lang in Kastellaun auf. Das Wiedersehen mit ihrer Heimatstadt fiel überraschend aus. „Ich habe Kastellaun fast nicht wiedererkannt", gesteht sie. „Die Stadt ist viel netter und schöner geworden". Und die Leute seien so liebenswürdig, daß sie es noch nicht fassen kann, wieder in Kastellaun zu sein.
Natürlich hat Elise Rozenstain auch ehemalige Bekannte, unter anderem die Hebamme ihres Sohnes, wiedergetroffen. Und das dabei Tränen der Wiedersehensfreude flossen, ist auch klar.
Erinnerungen werden vor allem wach, als die alte Dame ihr einstiges Zuhause in der Bopparder Straße aufsucht. Dort, wo heute das Büro der Friedensinitiative ist, lebte sie mit ihrem Ehemann und den Kindern. Reinhard Sczech, der jetzige Hauseigentümer, begrüßt Elise Rozenstain an der Haustür und begleitet sie durch das einstige Zuhause. Die alte Dame erinnert sich sofort, als sie das Büro betritt. „Das war unser Eßzimmer", erzählt sie begeistert. „Dort", erklärt sie und weist auf die Wand, wo jetzt Plakate gegen Atomkraftwerke und Aufrüstung hängen, „stand das Büfett, hier der Tisch und Stühle".

Ihr Sohn Horst Meyer kann sich kaum noch an die Jahre in Kastellaun erinnern. Während seine Mutter Erinnerungen lebendig werden läßt, unterhält er sich mit Kurt Forst und dessen Frau.'
Kurt Forst ist wie er in Kastellaun geboren und lebt jetzt in Californien. Beide Familien halten den Kontakt zueinander aufrecht, und so war auch die gemeinsame Reise nach Kastellaun selbstverständlich. Forst ist seit 1961 wieder zum ersten Mal auf dem Hunsrück. Mit „mixed feelings", gemischten Gefühlen, sei er gekommen, sagt er.
Aber wie Elise Rozenstain ist er überrascht von der Herzlichkeit der Kastellauner.
„Weggegangen von Kastellaun wären wir von uns aus nie", sagt Elise Rozenstain einige Zeit später. Ihr Mann unterhielt ein Geschäft mit Ölen und Fetten, die beiden Kinder gingen zur Schule, die Familie fühlte sich wohl und war beliebt.

Doch mit Beginn des Nationalsozialismus wurde das Leben für die Familie langsam aber sicher unerträglich. „Die Kinder konnten nicht mehr zur Schule gehen, erklärte die Jüdin, „sie wurden verhauen und das Geschäft meines Mannes schließlich geschlossen". Im November 1937 verließ die Familie Deutschland und machte sich auf die Reise nach Amerika.
Der Neuanfang war nicht leicht, gibt Elise Rozenstain zu. Nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie ein zweites Mal und lebt jetzt, wie Kurt Forst in Californien. Verloren hat sie aber alle ihre Verwandten. Von der großen Familie, zu der 80 Mitglieder gehörten, ist nur sie übriggeblieben. Alle anderen wurden in Konzentrationslagern getötet.

Während ihres Aufenthaltes in Kastellaun hat Elise Rozenstain ein gefülltes Programm. „Jeden Tag drei engagement". Natürlich war sie mit ihrem Sohn und Familie Forst auch in Oberwesel beim festlichen Präsidenten-Besuch. „Aber Bush hat uns nicht gesehen", bedauert die alte Dame.
Während dieser Woche nimmt sie an Projekten der IGS Kastellaun teil, die sich mit Nationalsozialismus und Judenverfolgung beschäftigen. Etliche jüdische Mitbürger sind eigens aus diesem Anlaß auf den Hunsrück zurückgekehrt. Im Kastellauner Rathaus wurden sie bereits offiziell begrüßt.

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